Nadia Safieddine
Under a spell

Vernissage, Wednesday, January 17th, 6-10 pm
Exhibition continues January 18 - February 28
by appointment

Catalogue with text by Barbara Weigel

Nadia Safieddines Bilder sind keine Abbilder, keine Darstellungen. Wenn in ihrem Werk auch Genres und figurative Bezüge auftauchen, das Porträt, der Akt, die Landschaft, das Stilleben, erkennbar oder manchmal auch benannt sind, so sind ihre mächtigen, vielschichtigen, wie von Farbwellen aufgeworfenen Ölbilder doch vorallem eines: konkrete Malerei. 

Genreübergreifend findet sich in all ihren Werken derselbe leidenschaftliche, manchmal brutale, manchmal beinahe zärtliche Duktus. Dichte, fast skulpturale Farbschichten wölben sich übereinander, die Oberfläche jeden Bildes ist wie eine Wasseroberfläche, die von heftigen Strudeln bewegt, endlose Tiefen und Lebewesen verbirgt. Das Objekt, oder Subjekt, der Darstellung (Das Dargestellte), tritt zurück hinter diesem Aufruhr der Farben - aber man könnte auch sagen: erstaunlich, dass es in seiner ganzen Fragiliät erkennbar bleibt in diesen expressiven Farbstrudeln. Und genau hierin liegt die Präzision der Malerin: Die Bilder entstehen in einem fließenden Austausch zwischen ihrem Seelenzustand und dem Bildsubjekt, in einer Art Tanz zwischen der gegenständlichen Welt und dem Innenleben der Künstlerin - in einem Spiel von Aktion und Reaktion, das vielleicht nie bewusst, aber immer mit größter Genauigkeit abläuft. Tatsächlich so genau, dass selbst intimste Empfindungen gegenüber dem gemalten Subjekt, dem Betrachter erkennbar werden.

Im Akt des Malens sucht die Künstlerin nach jener Unmittelbarkeit im Ausdruck seelischer Zustände und Bewegungen, die der Musik eigen ist. Musik als schöpferisches Element ist auch im Atelier allgegenwärtig, steht am Anfang jeder Stimmung und damit jeder Handlung, jeden malerischen Ereignisses und jeder Begegnung mit Gegenständen und Modellen. Nadia Safieddine malt oft in Präsenz anderer Menschen, die nicht zwingend „Modell stehen“.  Vielmehr sind sie Präsenz, Bezugspunkt, Spiegel oder Sparringpartner im Spiel von Aktion und Reaktion. 

Von einer Session zur nächsten verändern sich die Bilder völlig, die Schichten folgen nicht einem einheitlichen Formprojekt, sondern enstehen immer „impromptu“, plötzlich. Der Seelenzustand ist ausschlaggebend, er dirigiert, er führt. Es gibt kein „Gewusst-wie“, der Prozess des Malens ist Kampf, die Malerin ist manchmal Opfer ihrer selbst und Zerstörerin ihres Werks, manchmal Siegerin, immer Besessene. Die Sitzungen sind meist kurz, Safieddine malt schnell und oft an mehreren Bildern am selben Tag, immer großzügig bis zum Exzess, mutig sich ausliefernd und wahrhaftig. Ohne ein Gefühl der absoluten Fülle in sich, sagt sie, beginnt sie nie zu malen. Dann aber arbeitet sie in der Intimität eines halbdunklen Raumes, nur erahnend, was da genau auf der Leinwand entsteht - und lässt sich überraschen. Wenn sie den richtigen Zustand findet, ist es egal, ob es ein Stilleben, eine Landschaft oder eine Porträt ist: alles wird präzise.

Nadia Safieddines neue Serie „Under a Spell“ umfasst 17 Gemälde, die von 2022 - 2023 entstanden sind, in einer Lebensphase, in der die Künstlerin einer vergangenen Liebe wiederbegegnete. Sie entscheidet sich, in den Schmerz hinein zu gehen, sich mit ihren Gefühlen zu konfrontieren und sich diesen auszuliefen. Fragen nach Liebe, nach der eigenen Weiblichkeit, nach Selbstwirksamkeit, Angst vor der eigenen Blöße und dem Versagen vermischen sich mit Sehnsucht nach der Anderen und dem Wunsch nach Trost. Die drohende Präsenz des Krieges in Safieddines Heimat liefert einen immerwährenden existenziellen Hintergrund. Die Performerin Katharina Lattermann begleitet großteils den malerischen Prozess, sie antwortet tänzerisch. Die entstandenen Bilder, meist Akte, zeigen genau die Ambivalenz, die Körper zwischen Liebe und Krieg in sich tragen.

Am Ende dieser Katharsis-Phase löst sich Nadia Safieddine aus der Verzauberung: Mit „L’ami de Loplop“ beginnt sie ein neues Kapitel.

Barbara Weigel